Zeitschriften zu Spezialthemen boomen - auch zum Essen Foto: Weinakademie
Zeitschriften zu Spezialthemen boomen - auch zum Essen Foto: Weinakademie

Die neue Weinpresse

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Ein Artikel aus dem Jahr 2010 gehört auch fünf Jahre später noch zu den meistgelesenen auf dem Weinakademie Blog. Er beschäftigt sich mit der dramatischen Errosion der Abonnenten- und Verkaufszahlen der Weinmagazine.

Zeitschriften zu Spezialthemen boomen - auch zum Essen Foto: Weinakademie

Zeitschriften zu Spezialthemen boomen – auch zum Essen Foto: Weinakademie

Weinwelt, Vinum, Selection aber auch traditionelle Food-Magazine wie der Feinschmecker sind weiterhin in der Krise, wie Dirk Würtz der Online-Gemeinde regelmäßig darlegt. Ein Blick in die aktuellen IVW Zahlen dokumentiert, dass viele dieser Publikationen weiterhin auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit sind.

Problem: Schleichender Qualitätsverlust

Ich war nicht der einzige, der die Krise der traditionellen Zeitschriften auf mangelnde Anpassungsfähigkeit an ein neues Seh- und Leseverhalten beim Publikum zurückführte. Seit 2008 wurden aus den Lesern allmählich Vielfach-Nutzer, die sich aller möglichen Kanäle bedienen, um sich über ihr Lieblingsprodukt zu informieren und dankbar das Angebot der sozialen Medien annahmen, sich online darüber auszutauschen. Eckhard Supp wies im Einklang mit vielen damaligen Analysten der Print-Medien neben der mangelnden Anpassungsfähigkeit der traditionellen Zeitschriften an die neuen Medien auf den „schleichenden Qualitätsverlust“ in den Medien hin. Der Qualitätsverlust manifestierte sich in einer Verkleinerung der Redaktionen, Entlassung festangestellter Redakteure und Journalisten und dem zunehmenden Einsatz schlecht bezahlter, dilettierender Freelancer. Angesichts des Sterbens vieler einstmals bedeutender Titel sahen gerade viele Blogkollegen das baldige Ende des Print gekommen. Auf Seiten der Journalisten herrschte große Verunsicherung, die sich bei dem ein oder anderen in hilflosen Ausfällen gegen Blogger äußerte.

Jede Menge neue Zeitschriften

Alles ist anders gekommen: aktuell haben wir in Deutschland eine sehr bewegte Zeitschriftenszene bei der die Zahl der Neuerscheinungen die der Einstellungen übertrifft und noch nie waren am Kiosk so viele Titel erhältlich. Das Wissenschaftliche Institut für Presseforschung und Medienberatung (IWP) zählte letzthin 1.595 mindestens vierteljährlich erscheinende Zeitschriften. 2014 kamen 133 Zeitschriften neu auf den Markt.

Allerdings sind die Startauflagen deutlich geringer geworden, die Titel und die Erscheinungsfrequenz sind spitz auf ihre jeweilige Zielgruppe zugeschnitten. Erfolgreiche Macher werden natürlicherweise auch an andere Titel ihres Themenfeldes gesetzt. Jan Spielhagen von BEEF verantwortet bei GUJ zusätzlich Essen&Trinken – die BEEF Ästhetik ist jetzt auch dort zu finden. Wer hätte 2008 ein Kochmagazin für Männer für möglich gehalten – man mag von BEEF halten, was man will: es ist für den Verlag zu einem Juwel geworden. Die Sondernummer Getränke (Auflage 50.000 Exemplare) gut bestückt mit Anzeigen ging für 14,80 Euro über den Ladentisch. Nach der Schrumpfkur in den großen Verlagshäusern müssen die Überlebenden in den Redaktionen jetzt aus ihrem Themenkreis für mehrere Titel schreiben und gleich auch noch Online mitbedienen.

Newcomer mit Liebe und Leidenschaft

Stephan Scherzer, Geschäftsführer des Zeitungsverlegerverbandes weist in einem interessanten Interview mit Turi auf die Rolle der vielen kleinen Indipendent-Verleger hin, die die Zeitschriften-Szene aufmischen. Sie haben das, was man in großen Verlagen oft vergeblich sucht: Liebe und Leidenschaft für ihr Sujet und sie brennen für ihre Titel. Auch in der Weinszene sind neue Titel auf den Markt gekommen: „Lange haben wir nach so einem Magazin gesucht, es aber nie gefunden“ mit SCHLUCK machen die beteiligten Weinprofis, Fotografen und Autoren es jetzt selbst, wie sie schreiben. Interessant: die meisten von ihnen sind auch online in Social Media, mit Blogs oder eigenen Websites unterwegs. In der ersten SCHLUCK-Ausgabe widmete man sich umfänglich dem Rausch. Indie pur – mag man oder mag man nicht.

Mit ENOS hat Eckhart Supp selbst die Zeitschrift gemacht, deren Konzept die großen Verlagshäuser nicht kaufen wollten, obwohl Supp lange Jahre mit seiner Idee eines anderen, mehr journalistisch geprägten Weinmagazins mit Anspruch durch die Lande gezogen war. Der Zuspruch in den sozialen Medien nach den ersten Ausgaben zeigt, dass ENOS wohl seine Leserschaft findet. Ob die am Ende groß genug ist, das Projekt zu tragen, muss offen bleiben – denn Anzeigen gibt es für die Independent-Blätter eher nicht. Und das ist eines der Probleme der neuen Zeitschriften – nicht nur im Wein: die großen Anzeigenkunden gehen nach wie vor zu den großen Verlagen und freuen sich über die neuen, spitz auf ihre Kunden zielenden Titel, die dort erscheinen. Zudem mussten sie aufgrund der Gegebenheiten der neuen Medienlandschaft große Teile ihrer Budgets umfunktionieren: die sozialen Medien wollen bespielt werden und ein immer größer werdender Teil wird via Realtime Advertising (RTA) – in die direkte, auf den einzelnen Kunden zugeschnittene Werbung gehen. Der Einstieg in die Werbung der Zukunft – verhaltensbasiertes Targeting oder Big Data – kostet richtiges Geld.

Onliner versuchen sich im Print – und umgekehrt

Stimmen die Prognosen von Medienmanager Scherzer und Insider-Medien wie der Absatzwirtschaft, werden wir auch im Wein nicht mehr lange auf neue Magazine warten müssen: wie zuvor Print-Titel versuchten, starke Online-Präsenzen aufzubauen, liebäugeln starke Online-Marken mit der Herausgabe eigener Print-Magazine. Aktuelles und gut funktionierendes Beispiel: das Chefkoch Magazin des gleichnamigen Kochportals. Vorstellbar wäre eine Wine in Black – Postille, auch der VINOS Katalog hat das Zeug zu einer Zeitschrift. Dass auch Pure-Player sich im Print probieren, zeigen seit einem guten halben Jahr die Anzeigenstrecken von VICAMPO.

Für viele traditionell orientierte Wein-Verlage ist Online immer noch Neuland – es geht auch anders: Die WEINWISSER Leute um Petra Münster und Mario Scheuermann (†) versuchen alles nach dem Neuen Medienwelt-Lehrbuch richtig zu machen. Die Anforderungen heißen: Bekanntheit vergrößern, sowohl on- als auch offline zur Marke werden, Kompetenz zeigen, aktuell sein – auch außerhalb der Print-Erscheinungstermine, Transparenz für den Leser / User schaffen. Die Weinwisser sind überzeugt, Wein im Print nicht tot – er muss nur neu gedacht werden.

Da scheint etwas dran zu sein.

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