Keine Zeit zum Essen – Deutschland wird „to-go“-Land

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Marci's Feldküche und Grill Berlin Friedrichshagen

Marci's Feldküche und Grill Berlin Friedrichshagen foto:mpleitgen

Marcel setzt auf die Leute, die unterwegs essen. Mit seiner Feldküche steht er auf einem Parkplatz am Müggelsee in Berlin zwischen Friedrichshagen und Rahnsdorf. Seine Kunden sind LKW-Fahrer, Vertreter und Leute aus dem Büro. Da wird dann jemand losgeschickt: fünf mal Eintopf mit Einlage.

Was die Leute am liebsten essen? Erbsensuppe oder Bockwurst mit Brot oder Brötchen.

Am Wochenende ist deutlich weniger los, obwohl Marcels NVA – Gulaschkanone direkt am Radweg im Naherholungsgebiet unweit des  großen Standbades steht. Da kommen die Leute gerade von zuhause oder haben sich was eingepackt, sagt Marcel. Mal sehen, wie es im Sommer wird, wenn die zig-tausende hier zum Baden herkommen.

Die Deutschen bringen durchschnittlich 105 Minuten am Tag mit Essen zu, ermittelte eine OECD Studie noch 2006. Das dürfte in den in den letzten Jahren deutlich weniger geworden sein. Schon damals erschien der Wert recht hoch, vergleicht man es mit den USA, wo es nur 74 Minuten waren.

Deutschland – einig to go Land

Schnelles Essen ist für viele eine Notwendigkeit“ heißt es in der Nestle Studie 2011. 52% der Jugendlichen holen sich mehrmals im Monat „etwas vom Bäcker“, 41% frequentieren regelmäßig Fast-Food-Restaurants und 38% ernähren sich in Strassenimbissen. Je älter die Esser, desto eher ist ihnen nach einem „richtigen“ Restaurant – trotzdem stellen sich auch bei den 45 – 59 Jährigen 29% an den Stehtisch beim Bäcker. Folgerichtig zählen der Lebensmittelhandel, die Bäckereien, Metzgereien (mit Heißtheke) und Sandwich-Läden zu den wichtigsten „Points of snacking“, so die Nestle Studie und konstatiert, daß Geschäfte, die Stullen, Cakes und Cookies sowie Würstchenbuden mit innovativem Konzept auf dem Vormarsch sind.

Out of home“ gilt nicht nur für den Verzehr-Ort, sondern auch für die Zubereitung: Lieferservices haben großen Zulauf. 41% der jungen Verbraucher und immer noch 26% der Älteren lassen sich häufiger etwas bringen. Singles und junge Paare ohne Kinder nutzen gerne den Pizza-Service. „To go“-Ernährung zieht sich durch alle Klassen und Einkommensgruppen, 46% essen mindestens einmal am Tag etwas zwischendurch.

Alarmierend: nicht nur fürs Essen ist in der Woche keine Zeit mehr, selbst Einkaufen ist für die meisten eine Last.  Zwischen 2006 und 2011 hat die Zahl der Shoppinggänge bei Studenten, Berufseinsteigern und jungen Familien laut einer GfK-Studie um 16 Prozent abgenommen.

«Zeit ist ein kritischer Faktor», zitiert die Zeit den Mitautor der im März veröffentlichten Studie, Wolfgang Adlwarth. Zu spüren bekommen das vor allem die Discounter – Grund vor allem bei jüngeren Verbrauchern: im Supermarkt um die Ecke bei REWE oder EDEKA gibt es das mundgerechte Angebot für die Mittagpause, das fertige Essen im Stehen oder zum Mitnehmen. Weil die Leute keine Zeit mehr zum Einkaufen haben, setzt sich immer mehr der Typ des One-Stop-Shoppers durch: er sucht nur noch eine Einkaufstätte auf und kauft dort alles, was er braucht.

Wie paßt der Wein dazu?

Zu diesen neuen Ernährungsmustern paßt Wein natürlich immer weniger – der Konsum verlegt sich auf ein Glas zum Feierabend oder auf das Wochenende. „Richtig“ gekocht und gegessen wird in deutschen Familien nur noch Samstag/Sonntag.

Keine Zeit zum Essen, keine Zeit zum Einkaufen und keine Zeit zum Kochen. Das ist es, worauf sich auch der Weinhandel einstellen muss – damit nicht die Supermärkte und der Online-Handel demnächst zu den alleinigen Gewinnern gehören. Ideen liefern für das Essen mit Familie und Freunden am Wochenende, die passenden Weine zu unkomplizierten und einfach zuzubereitenden Gerichten, Rezepte und Anregungen für die Kunden. Und Gründe liefern, warum die Gestressten zum Weinhändler kommen sollen: Erlebnis-Einkauf heißt für den Weinhandel Anlaufstelle für Genuß sein.

Übrigens: Marcel mit seiner Gulaschkanone kann man mieten. Er kocht und grillt für bis zu 400 Personen. 0157 793 782 87

3 Kommentare

  1. Es ist natürlich nicht Ihre Schuld, lieber Herr Pleitgen, aber es ist schon frappierend, wie frustierend diese Art von Artikeln, von denen es immer mehr gibt, sind. Man kann wohl nichts dagegen halten, außer: Statistik heißt Durchschnittszahlen mit – auf den Einzelnen bezogen – recht begrenzter Aussagekraft. Aber schulterzuckend: Das ist die Realität. Und mit Sarkasmus: Viel Spaß mit der Fettleibigkeit, den daraus resultierenden Krankheiten und mit dem Verlust jeglicher Genussfähigkeit (und das hat keineswegs nur mit Geld zu tun)!

    • Lieber Christoph Landwehrs – ich bin ganz auf Ihrer Seite. Nur beobachte ich, dass unsere Branche den geänderten Lebens- und Ernährungsgewohneiten viel zu wenig Rechnung trägt.

      Das heißt ja nicht, Verzicht auf Genuss – sondern der Frage nachgehen, wie kann ich diejenigen, die morgens mit einem Togo-Kaffee im Pappbecher ins Büro hetzen, mittags beim Döner anstehen und abends mit einer Flasche Bier in der Hand in der Strandbar aus-chillen, ab und an überzeugen, sich einen Moment Zeit für Genuss mit einem Glas Wein zu nehmen …. Gruß aus Berlin Michael Pleitgen

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