Kritik ist die Kunst der Beurteilung – der Blogger als Weinkritiker

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Wird ein Kritiker, auch ein Wein-Kritiker seinem Namen erst gerecht, wenn er kritisiert? Kritik wird in der Umgangssprache „zumeist [als] das Aufzeigen eines Fehlers oder Missstandes, verbunden mit der impliziten Aufforderung, diesen abzustellen“ angesehen, so Wikipedia. Wird man also zum Kritiker erst, wenn man etwas Negatives schreibt – zum Wein-Kritiker folglich, wenn man einen Wein oder einen Winzer verreißt?

Im eigentlichen Sinn ist Kritik zunächst einmal „die Kunst der Beurteilung, des Auseinanderhaltens von Fakten, der Infragestellung“ in Bezug auf eine Person oder einen Sachverhalt – es geht es um eine „prüfende Beurteilung nach begründeten Kriterien, die mit der Abwägung von Wert und Unwert einer Sache einhergeht“.

Hält man sich an diese Definition, kann das begründete Urteil positiv oder negativ ausgehen. Nirgendwo steht geschrieben, daß Kritik immer negativ sein  muss. Und niemand der sich als Kritiker bezeichnet oder bezeichnet wird, muss Negatives veröffentlichen.

Ohne die Freiheit, tadeln zu dürfen, gibt es kein wahres Lob! – Sans la liberté de blâmer, il n’est point d’éloge flatteur“ dieser schöner Satz aus der Hochzeit des Figaro von Beaumarchais ist seit fast 200 Jahren das Motto der gleichnamigen französischen Tageszeitung. Damals ging es um die Pressefreiheit – man wollte das Recht haben, eine „kritische“ Anmerkung machen zu dürfen.

In der aktuellen Diskussion scheint es eher um die Frage zu gehen, ob ich etwas Negatives über meinen Anzeigenkunden oder über meinen Sponsor schreiben darf.  Darf ich natürlich –  muss ich aber nicht. Die Frage ist, wieviel Stress tue ich mir an?

Bekomme ich 5 Weine zugesandt, kann ich entweder über gar keinen schreiben oder ich schreibe über die drei guten und die beiden anderen lasse ich aussen vor.  Es ist mir überlassen, ob ich mit dem Winzer über die nicht ganz so guten spreche. Ich kann das sogar meinen Lesern signalisieren: Hallo ich schreibe über meine positiven Erfahrungen – wenn ihr was Gutes sucht, haltet euch daran!  So arbeiten viele Print-Kollegen und auch viele Onliner. Hilfestellung für die Verbraucher gibts über die Positiv-Weine. Eine gute und hilfreiche Lösung!

Wie gehe ich mit den Mustern, den Einladungen und den Reisen um? Soll das Bestechung sein? Dazu gehören doch immer zwei – wie man so schön sagt. Derjenige, der den Vorteil gewährt und derjenige, der ihn annimmt. Jetzt kann der eine denken, er bekommt einen schönen Bericht – wenn der andere ihn nicht schreibt, bekommt er ihn nicht.

Man sollte allerdings mit dem Thema souverän umgehen können und klar bleiben. Dann bleibt man man für seriöse Erzeuger, Verbände oder wen auch immer, auch ohne Bericht akzeptierter Gesprächspartner. Zur Fairnis gehört auch, in einem Artikel zum Beispiel den Einlader zu einer Reise zu nennen oder den Auftraggeber eines Artikels.  Zum Schluß noch mal der Verweis auf den Markt: ich halte die Leser für so mündig, dass sie „Hofbericht-Erstattung“ von einer interessanten und informativen Schreibe unterscheiden können.

14 Kommentare

  1. Hallo Michael,
    genau diese Frage habe ich für mich schon vor einer geraumen Zeit beantwortet. Habe ich früher ausführlich über meine positiven UND negativen (W)Eindrücke geschrieben, belasse ich es mittlerweile nur noch bei meinen positiven Erfahrungen. Was bringt es mir als Hobby-Webseitenbetreiber, mich mit Winzern über meine vorab geäußerte negative Kritik auseinander zu setzen? Klingt vielleicht etwas bequem – und ist es auch.
    Viele Grüße
    Ingo

  2. Schöner Beitrag! Ich sehe es genauso und schweige mittlerweile einfach zu Weinen, die mir nicht schecken. Es gibt schon soviele Stimmen, die sich gerne aufs Negative stürzen…
    Cheers
    Heike

  3. Die Frage der Kritik ist doch alt und hat erst mal nichts mit Bloggern zu tun. Viel interesanter ist doch was man auf Jahrgangsverkostungen (von Anbaugebieten oder Spitzenverbänden) macht. Gerade unter Journalisten ist es weit verbreitet, viel zu verkosten und dann über die besten 10 oder 20 Weine zu schreiben. Finde ich irgendwie legitim.

    Man kann auch vorher aiswählen was man verkostet und dann darüber schreiben. Auch hier ist der Durchschnitt der Bewertung höher als ohne Vorauswahl. Und dann kann man noch blind sich was bringen lassen und das dann so veröffentlichen. Das mache ich häufig so und habe nach Veröffentlichung noch nie Ärger bekommen.

    Zu Reisen sollte man auch bemerken, dass es für einen Verkoster ein hoher zeitlicher Aufwand ist, der mit Arbeit verbunden ist. Jedenfalls wenn man das Thema ernst nimmt.

  4. Ein sehr nützlicher, weil einiges klar stellender Beitrag. Kann ich voll inhaltlich unterschreiben.

  5. Oft wird das Wort Kritik verwendet, wo der Begriff Rezension meines Erachtens passender wäre. Das Problem speziell in der Weinkritik ist aber, dass die Besprechung eines Weines in der Regel deutlich kürzer ausfällt als die eines Buchs oder Films, und eine Rezension wird meist mit längeren Texten verbunden.

    Ingo, deine Sorge, dich mit Erzeugern über negative Kritik auseinander setzen zu müssen, ist aus meiner Sicht unbegründet. Oder hast du früher negative Erfahrungen gemacht? Bei mir hat sich bisher nur einmal eine Winzersfrau telefonisch beschwert, und nachdem die Laboranalyse des Weins tatsächlich, wie von mir vermutet, unerlaubte Aromastoffe zutage gefördert hat, kann man sagen, dass diese Beschwerde unbegründet war. Ansonsten hatte ich in den vergangenen zehn Jahren keine Beanstandung. Ganz im Gegenteil: Zu einigen Winzern habe ich inzwischen auch deshalb einen beinahe schon freundschaftlichen Kontakt, gerade weil ich ihnen nicht den sprichwörtlichen Honig um die Mundwinkel schmiere, sondern meine Kritik offen anspreche.
    Wer schon aus Angst vor etwaigen Reaktionen nur die heile Welt darstellt, läuft meines Erachtens Gefahr, schon von vorneherein um etwaige Klippen herumzuverkosten.

  6. Werner, ich bin nicht besorgt um die Reaktionen. Ich finde es nur überflüssig, meine wertvolle Freizeit mit unnötigen Disputen zu vergeuden. Daher schreibe ich nur über die Weine, die mir gefallen. Meine Leser möchten – laut „offiziellem“ Feedback – auch nur über Weine lesen, die einen Kauf lohnen. Sollen sie haben.

  7. Hilfreicher Text.
    Nur dass das Problem mit uns Bloggern eher ist, dass wir in der Regel einem multiplen Handwerk nachgehen. Kaum einer unterscheidet klar zwischen einem „personal-“ und einem „non-personal-blog“. Dies hier ist ja eigentlich – genau wie die Quelle der Diskussion, Dirk Würtz – ein klassischer corporate blog. Privat-Subjektives wird mit Professionellem vermischt. Aus Marketing- und PR-Motiven.

    Monothematische Webtagebücher beginnen hingegen meist als rein private Angelegenheit und deren Betreiber (meist Männer übrigens, Frauen können da besser trennen) wollen bei einsetzendem Erfolg gerne bei den Großen mitspielen. Und verwechseln sich mit Journalisten oder ausgebildeten Kritikern.

    Wenn ich auf meinem privaten Blog über Kochen, Essen, Wein und Musik schreibe, tue ich dies zwar mit einem gewissen Wissen als Fundament, aber mit deutlich zur Schau gestelltem Dilettantismus. Wein z.B. analysiere ich nicht sondern beschreibe, was mir warum schmeckt. Das hat nichts mit einer professionellen Verkostung zu tun, ich weiß das, meine Leser auch.

    Leider geben aber viele, die ebensolches Tun, vor, einer objektiven Profession nachzugehen. Blender, Hochstapler, arme Wichte. Ich bin froh, in der Lage zu sein, solcherlei zu erkennen und fortan zu meiden.

    • @ Joerg Wie immer kommt es darauf an, sich vorher Gedanken zu machen und zu klären: Was will ich mit meinem Blog? Ich schreibe zum Beispiel nicht über einzelne Wein, weil dies ein Weinhandels- und Weinmarketing-Blog ist. Trotzdem werde ich mit Mustern bedacht und um meine Meinung gefragt.

      @ Thomas Günther Eine Weinreise ist ja keine Lustreise: die Leute karren einen ans Ende der Welt – da haben sie schon etwas Fleiss und Sorgfalt verdient – ich sage vorher nein, wenn ich keine Zeit habe, etwas daraus zu machen.

  8. @Joerg Utecht Ihren Blog zähle ich deshalb auch unbedingt zu den lesenswerten.

  9. @ Jörg:
    So arg würde ich nicht über manche Weinblogs urteilen wollen. Ich glaube man kann schon herauslesen, wer sich ernsthaft mit Wein beschäftigt. Und wenn nicht, finde ich das auch in Ordnung. Was ist denn ein ausgebildeter Weinkritiker? Bitte mal genau definieren. Der Zugang zum Beruf des Journalisten ist in Deutschland übrigens auch sehr offen, was auch mit unserer Geschichte zusammenhängt. Und die Großen sind groß, weil sie gelesen werden. Ob nun auf dem Papier oder digital.

    @ Michael: Genau das ist der Punkt. Man sollte ein inhaltliches Interesse mitbringen und planen etwas zum Thema zu machen. Und da geht vielfach die Kritik an solchen Veranstaltungen in zwei falsche Richtungen. Zum einen ist von so einer Art Bestechung oder Vorteilsnahme unterschwellig die Rede. Zugleich – und dies ist sogar ein Widerspruch – wird Hofberichterstattung unterstellt. Beides kann möglich sein. Muss es aber nicht.

    Sinn solcher Veranstaltungen ist in den mir bekannten Fällen eine inhaltlich gute (das heißt nicht automatisch positive) und differenzierte Berichterstattung zu unterstützen. Von den mir bekannten Organisatoren habe ich einen positiven Eindruck, da man Verkostungslisten sogar intern auswertet. Inhaltlichen Druck habe ich noch nie wahrgenommen. Wieso auch? Wozu soll das führen? Bei einer Verkostung in Italien wurden sogar die Blätter mit der Verkostungsanforderung nachher eingesammelt. Bin mir nicht sicher, ob man die Anzahl der Verkostungen jedes Besuchers ermitteln wollte oder sich vor Ergebnissen die nicht auf der Verkostung entstanden sein konnten schützen will ;-)))

  10. Wenn Spinoza eine „rationalistische Therapie“ der Leidenschaften empfiehlt im Wege eines möglichst vollständigen Begreifens ihres jeweiligen Gegenstandes, meinte er damit zu seiner Zeit zwar etwas völlig anderes, aber damit wird auch sehr treffen beschrieben, was den Unterschied zwischen amateurhaftem und professionellem Schreiben ausmacht.

  11. Wahre Worte! Mein Kompliment für die interessanten Artikel.
    Herzliche Grüße, Sophia Kammer!

  12. @MS
    Danke für die Blumen.

    @Michael
    Genau das ist der Punkt: Nach-Denken. Besser noch: Denken, bevor man etwas tut. Oder schreibt. Das vermisse ich oft.

    @Thomas
    Weinkritiker: Blöder Begriff, stimmt. Ein VHS-Sensorikseminar reicht auf jeden Fall nicht als Handwerkszeug, da sind wir uns bestimmt alle einig. Viele Texte lesen sich aber so, als sei nicht mehr Wissen oder Erfahrung vorhanden.
    Zum Journalismus: Obwohl es kein geschützter Berufsbegriff ist, gibt es doch allgemein akzeptierte Grundregeln wie: Recherche und Gegenrecherche, Behauptungen sollten mit Fakten unter- und mit Quellen belegt sein, Meinung hat in allen journalistischen Formen nichts zu suchen, außer in Kommentar und Glosse, und jede Redaktion, die ich bisher kennengelernt habe, hat ein Redaktionsstatut, das den ethisch/moralischen Bereich regelt.

    Womit wir beim Grundproblem sind: Blogger sind Einzelkämpfer (zumindest in der Regel) und keinerlei redaktionellem Korrektiv unterworfen. Das ist prima so, wenn sie sich dessen bewusst sind. Wenn sie aber zu glauben beginnen, ihr Webtagebuch oder PR-Organ sei ein journalistisches Medium, fangen die Probleme an.