Wie man aus einem alten Hut einen neuen Aufreger macht

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Jetzt gärt es wieder ....

Jetzt gärt es wieder .... foto:grendelkhan/flickr/CC BY-SA 2.0

Gentechnisch veränderte Weinhefe – schon lange habe ich darauf gewartet, daß ein schreibender Kollege sich einmal dieses Themas annimmt.

Zur Zeit ist sie für uns gar kein Thema: ML01 ist nur in Kanada und den USA zugelassen. Diese Hefe wandelt nicht nur Zucker zu Alkohol um, sondern auch gleichzeitig Äpfelsäure zu Milchsäure. Sie wird kommerziell bereits seit 2003 verwendet. In diesem Sinne ist sie auch schon ein alter Hut. Die Hefe hat auch die Publikumspresse erreicht –  Lucian Haas veröffentlichte in der Berliner Zeitung  einen allgemeinverständlichen Artikel zu ML01.   Auch in den Weinblogs drehte ML01 ihre Runden

Aber noch immer scheint sie das Zeug zum Aufreger zu haben: die neue Ausgabe des SlowFood Magazins (05-2011) widmet der Hefe zwei Seiten. Nachdem der unvermeidliche Reinhard Löwenstein – Zitat: „Wein ist kein Naturprodukt“- bemüht wird, gibt der Artikel dann gute Ratschläge: „um jegliches Risiko auszuschließen, kann man natürlich auch einfach auf den Konsum von Weinen aus den USA und Kanada verzichten“ – und damit vermeiden, veilleicht doch Gen-Wein zu sich zu nehmen. Da Kopfschmerzen nach Weingenuß vielleicht doch etwas mit mißratenem biologischem Säureabbbau zu tun haben könnten, solle man  einfach weniger trinken. Dann braucht man keine säureabbauenden Gene im Wein und alles kann so bleiben, wie es ist.

Bitte nicht falsch verstehen: ich bin auch kein Freund von Genmanipulation, aber seit 1857 Louis Pasteur das Milchsäurebakterium entdeckte und die Vorgänge bei der alkoholischen Gärung beschrieb, hat sich die Wissenschaft zwar rasant entwickelt – vieles wissen wir aber immer noch nicht. Ständig muss auch Neues ausprobiert werden. Und zwar nicht nur „um bei der Weinherstellung  Zeit zu sparen“ , wie Desrues schreibt, sondern vor allem, weil man die Prozesse in Richtung Qualität steuern will. Ob das jetzt mit genetisch veränderten Organismen erreicht werden muss, darüber kann man diskutieren – einstweilen ist es bei uns verboten.

Wein ist halt immer noch viel komplexer, als die meisten Konsumenten denken. Die Diskussion um Genmanipulation verunsichert bis in die Branche hinein.  Neuzüchtungen, Kreuzungen, Hybriden, Klone???  Da denken selbst viele Azubis zunächst, daß das etwas mit Gentechnik zu tun hat.

Wein ist immer gut für einen kleinen Skandal – wer will, kann täglich irgendein Thema aufbauen. Warum das so ist, hatte ich schon im Februar dieses Jahres beschrieben, als Gummi Arabicum die Runde machte.

Aufgrund des fehlenden Wissens über den Wein und seine Herstellung und die Erwartung der Verbraucher, daß Lebensmittel „natürlich“ erzeugt werden, ist es einfach, aus einem alten Hut einen neuen Aufreger zu machen. Zum Glück ist das Slow Food Magazin kein Massenblatt.

5 Kommentare

  1. Guten Tag
    Hochinteressant, was Sie da bloggen – wenn auch ziemlich unklar. Was genau ist das, was Sie mir vorzuwerfen versuchen?
    Mit bestem Gruß
    G. Desrues

    • Hallo Herr Desrues,

      ich werfe Ihnen nichts vor, sondern stelle nur fest, daß man einen großen Teil dessen, was sie schreiben, bereits 2006 in der BZ lesen konnte.

      Leider werden in der Publikumspresse oft Teil-Aspekte im Weinanbau und -ausbau herausgegriffen und so verkürzt dargestellt, als wollten die Produzenten dem Verbraucher nur Böses. Der ist dann entsprechend verunsichert. Wein eignet sich für „Schreckensnachrichten“ in zweierlei Hinsicht: zum einen ist er als Lifestyle-Getränk in aller Munde und zum anderen wissen die Verbraucher so gut wie nichts darüber.

      Wie groß der Nachhol-Bedarf an Weinwissen und wie „basic“ er immer noch ist, kann man ermessen, wenn man sich einmal einen Tag in einen Weinladen stellt und den Kunden zuhört. Es gibt noch ganz viel bei den einfachsten Dingen aufzuklären – von dieser Aufklärung und Anleitung zum Genuß würde ich mir mehr in der Presse wünschen!

  2. Das ändert nichts daran, dass ich wie viele Leser des Slow Food Magazins (das, und da gebe ich Ihnen im Übrigen Recht, „zum Glück kein Massenblatt ist“) der Auffassung bin, dass Biotechnologie im Weinbau nichts verloren hat. Und das Argument, die genmanipulierte Hefe würde vor Kopfschmerzen schützen, ist wohl mehr als lächerlich. Außerdem entstand der Artikel in der BZ, auf den Sie verweisen, am 11.09.2011 – und nicht schon 2006. Aber das tut an sich nichts zur Sache. Das SF-Magazin brachte einen Schwerpunkt zum Thema Gentechnik und ich bin mir sicher, dass es viele Leser interessieren wird, dass diese auch im Weinbau zur Anwendung kommt, wenn auch – wie Sie und ich richtig erwähnen – noch nicht in Europa. Mir in diesem Zusammenhang zu unterstellen, einen Skandal herauf beschwören zu wollen, ist ziemlich gewagt. Ich für meinen Teil wünschte mir, dass Sie die Weinbauern, deren Wohl Ihnen ja offensichtlich am Herzen liegt, eher darin ermutigen, dem Konsumenten so weit es geht über ihre Herstellungsmethoden aufzuklären. Denn nur so kann Vertrauen geschaffen werden. Wenn Sie allerdings, wie mir scheint, der Meinung sind, dass der Einsatz von genetisch manipulierter Hefe nicht der Rede wert ist, dann haben wir offenbar vollkommen unterschiedliche Auffassungen von Qualität, von Genuss, von Wein und also von Lebensqualität im Allgemeinen.
    Gruß
    GD

  3. Korrektur: 02.09.2011 steht über dem Artikel in der BZ.

    • Herr Desrues,

      muss mich bei Ihnen entschuldigen, was den Artikel in der BZ betrifft – der ist tatsächlich so aktuell, mein Fehler – die Geschichte mit der Hefe ist allerdings schon alt. Und an ihrem Beispiel sieht man, wie solch eine Geschichte international ihre Kreise zieht http://bit.ly/nv8ATT.

      Das dort Geschriebene trägt leider in vielen Fällen nicht zur Aufklärung, sondern eher zur Verunsicherung bei.

      Ich persönlich bin kein Freund von Genmanipulation – das habe ich ja geschrieben. Im Gegenteil: Ich bin froh, daß in Europa nicht alles sofort zugelassen wird – sondern wir uns die Zeit nehmen, zu prüfen und abzuwägen und dann transparent zu entscheiden.

      Beste Grüße aus Berlin
      Michael Pleitgen