Welche Presse will der Wein?

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Welche Presse hat der Wein? In Deutschland nicht mehr all zu viel und um deren Qualität scheint es nicht gut bestellt zu sein – weiss auf jeden Fall der drinktank von Diskussionen auf Facebook und Google+ zu berichten. Dass es nur noch wenige Publikationen gibt, die sich dem Thema Wein widmen, ist nicht neu.

Tasting

Welche Presse will der Wein? foto:mpleitgen

Es lohnt aber, einen Moment darüber nachzudenken: verglichen mit vor ein paar Jahren lassen sie sich an einer Hand abzählen – eine Quasi-Monopol-Situation.

Weniger Publikationen bedeuten weniger Seiten für Artikel, weniger Platz für Bewertungen, für Meinungen aber auch weniger Fläche für Werbung. Der Platz reicht nicht, jeden darzustellen, der in die Öffentlichkeit will – und das wollen heute viele.

Die Misere der Weinpresse

Im dritten Quartal 2011 wurden von WEINWELT und VINUM genau 66.804 Exemplare unter die Leserschaft gebracht. Beide Publikationen haben bei Abonnentenzahlen (zusammen 15.836) und Kioskverkäufen (4.946) zu kämpfen – entsprechend teuer sind die Seiten. Eine Seite in der WEINWELT kostet 5.935 Euro, eine Seite VINUM Deutschland 5.494 Euro. Würde man beide mit einer Seite belegen, läge der Kontaktpreis bei 0,17 Euro pro verkauftem Heft – vergleichsweise kostet der Kontakt beim SPIEGEL nur 7 Cent. An der Misere der Weinpresse hat sich also nicht viel geändert.

Auch in der sonstigen Presse hat der Wein nicht mehr viel Platz: gab es früher Wein-Kolumnen und eine regelmäßige Berichterstattung, wird heute nur noch über Kuriosa und Skandale im Zusammenhang mit Wein geschrieben.  Schon vor zwei Jahren habe ich hier einmal durch die Presse geblickt: es war ein eher betrüblicher Blick. Wein generiere eben nicht genug Anzeigenvolumen, um für die Verlage dauerhaft interessant zu sein, das könne man auch international beobachten, sagte Jancis Robinson dazu vor einiger Zeit.

Da wundert es dann auch nicht, dass „immer mehr Nicht-Journalisten von Verlagen als Schreiber engagiert werden, die ihre Texte oft genug aus Gefälligkeit ohne Honorar oder gegen einen symbolischen Betrag liefern“ wie der drinktank beklagt. Hier finde oft eine Verquickung von Bericht und Eigeninteresse statt, meint Mario Scheuermann, da die Texte von Sommeliers, Weinhändlern oder PR-Leuten stammten. Auch Dirk Würtz hat sich dazu in ähnlicher Weise geäußert.

Pressemitteilungen statt Journalismus

Warum nicht? Da wird doch dafür gesorgt, dass weiterhin über Wein geschrieben wird! „PR ist eine zweischneidige Angelegenheit für den Journalismus“ warnt der Medienwissenschaftler Stephan Ruß-Mohl in seiner Untersuchung „Kreative Zerstörung“. Ohne die Vorleistungen, die PR Leute erbringen, würde schon längst keine Redaktion mehr funktionieren. Andererseits unterminiere zuviel PR die Glaubwürdigkeit des Journalismus. Über die Qualität der Beiträge von „Amateur“-Journalisten und PR-Leuten ist dabei noch gar nichts gesagt.

Sparmaßnahmen infolge sinkender Presse-Auflagen und eine hochgerüstete PR-Branche hätten die Einfallstore für PR weiter geöffnet, schreibt Ruß-Mohl an anderer Stelle. „Die Redaktionen verwandeln immer öfter und ungeprüft und mit einem einzigen Mausklick Pressemitteilungen von Firmen, Ministerien und sonstigen Interessengruppen in „Journalismus““.

Diese Art von „Journalismus“ findet sich in ganz besonderer Weise im Internet. Wer sich aufmerksam durch die Internet-Wein-Medien liest, wird Wein-Portale mit zum Teil hohen Zugriffszahlen finden, die fast ausschließlich Pressemitteilungen weiterverbreiten.

Das Netz

Hier trifft sich vieles, was sich bei näherer Betrachtung zu einem wunderbaren Ganzen fügt: im Netz findet sich jede Menge Platz für Veröffentlichungen. Platz, der sich via weinbegeisterter Blogger und Portalbetreiber mit Produktwerbung und PR füllen lässt. Platz, auf dem man um den Preis einiger Flaschen die Texte unterbringen kann, die man platzieren möchte. Platz der aufgrund der Optimierung durch die Autoren immer prominenter wird, sich in den Rankings der Suchmaschinen unaufhaltsam nach vorne schiebt. Und der zu all dem bislang noch eine genau so hohe Glaubwürdigkeit beim Publikum besitzt, wie die traditionelle Presse.

Journalismus scheint der Weinbranche vielmals suspekt zu sein. Man weiss nie, was der eigenwillige Journalist denn nun wieder schreibt und wie gut oder wie schlecht man dabei wegkommt. Mit schöner Regelmäßigkeit wird man von Weinleuten gefragt, ob man einen Artikel vor der Veröffentlichung noch einmal „gegenlesen“ könne.

Anders im Netz: da gibt es keinen Journalisten als Gate-Keeper, der auswählt und moderiert – hier hat man oftmals die Chance mit Original-Tönen durchzukommen – wenn man die Sache nicht gleich ganz in die Hand nimmt. Gerade hat die Branche Blogging und Facebook für sich entdeckt, Social Media Seminare für Winzer erfreuen sich eines regen Zuspruchs.

Der Hype

Das Netz ist unschlagbar günstig und so einfach! Jeder kann mittun – „Du kannst gleich heute anfangen!“ heißt es in vielen Ratgebern und bei vielen Seminaren. Das Ergebnis des Hypes lässt sich zur Zeit in den Sozialen Medien bewundern – es ist zum Teil nicht besonders erhebend.

Leider ist es auch im Netz so, daß sich Qualität nicht automatisch durchsetzt. Ausschlaggebend ist auch hier immer die ökonomische Realität: schaffen es die Betreiber nicht, genügend Einkünfte zu generieren, verschwinden selbst langjährig gehegte und mit großem Aufwand gepflegte Projekte wie Catavino oder Appellation America. „It’s the money – stupid!“ schrieb Eckhard Supp kürzlich dazu.

Im Netz ist gut zu beobachten, wie sich die Trennlinien zwischen Journalismus, PR und Werbung verwischen. Besonders anfällig dafür seien „produktnahe Berichterstattungsfelder“, schreibt Ruß-Mohl. Und genau in einem solchen Feld bewegen wir uns beim Wein im Netz: Weinbeschreibungen, Punkte und Wertungen allenthalben.

Kommt die gute alte Zeit, in der alles sauber getrennt erschien, noch mal zurück? „Korrekt wäre es so: Journalisten schreiben, PR-Fachleute machen PR, Sommeliers beraten Gäste, Weinhändler verkaufen Wein und jeder bleibt gefälligst bei seinem Leisten“ meinte Mario Scheuermann in seinem Artikel. Sie wird definitiv nicht mehr zurückkommen. Dafür steht zuviel dagegen, siehe oben.

Welche Presse will der Wein?

So wie die Zeitungen neue Geschäftsmodelle erfinden müssen – von privatem Sponsoring über öffentliche Förderung bis hin zu Leserbeteiligungen oder tatsächlich mehr Kommerz zum Beispiel mit dem Verkauf von Kollateralprodukten – wäre auch die Branche gut beraten, sich Gedanken darüber zu machen, welche Presse sie denn haben möchte. Und Modelle zu entwickeln, wie sie dahin kommen kann. Sonst versandet das Thema Wein im Seichten oder verkommt in der PR.

Wenn der Wein in Deutschland kein Print mehr trägt – dann sollte Wein zumindest im Internet qualitätsvolle Seiten haben. Anfangs war der Online-Zirkus noch neu und interessant – ein paar Jahre später – heute – ist vieles nur noch langweilig.

Es wäre einmal interessant, der Frage nachzugehen, warum es nur zur dreihundertsten Weinbeschreibung des ewig gleichen Weines und zum einhundertfünfundzwanzigsten Artikel über den immer gleichen VDP-Winzer reicht? Warum crowd-sorcing und citizen journalism beim Wein nicht funktionieren? Warum es keine neuen Themen gibt? Warum es nicht 15 miteinander wetteifernde Captain Corks oder andere innovative Projekte gibt, unter denen sich das beste dauerhaft durchsetzt.

Könnte es sein, dass es online wie offline, wenn es um Wein geht, zuwenig Profis gibt, die ihr Handwerk verstehen? Stuart Pigott hat sich einmal in einem Interview dazu geäußerst, was zu einem Weinjournalisten gehört – und auch er meint, es sei für den Profi schwer sich zu behaupten, „weil so viele Menschen gerne hobbymäßig und für quasi gar kein Geld etwas über Wein schreiben.“

Zeit für Entscheidungen

Viel Zeit zum Fragen und Nachdenken bleibt nicht mehr. Schon jetzt schreiben gelernte Journalisten PR-Artikel für bezahlte Seiten in der Presse. VINUM produziert sinnvollerweise gleich den WÜRTTEMBERGER mit. Auch bei anderen Verlagen werden die bezahlten Supplemente von den gleichen Journalisten gefüllt, die auch in den sie tragenden Zeitungen schreiben.

Es stehen auch schon die ersten Wein-Journalisten und -Buchautoren in den Startlöchern, die als wahre Alleskönner die mediale Rundum-Versorgung für Winzer, Weingüter und Genossenschaften anbieten: Werbung, PR und Journalismus inklusive Social Media und Video-Produktion – alles aus einer Hand. Man sieht: die veränderte Medienlandschaft schafft sich ihre ganz eigenen neuen Daseins-Formen.

Das Ganze ist ein Prozess – und irgendwann wird sich sicher auch die Spreu vom Weizen trennen. Zurück geht es auf keinen Fall – es geht nur noch um die Frage, ob und wie die Branche Einfluss auf ihre eigene Medien-Zukunft nehmen kann und will.

 

PS Wie zur Bestätigung meiner These, daß in den großen Medien über Wein hauptsächlich als Kuriosum berichtet wird, featured SPIEGEL online heute auf der Hopmepage die SPIEGEL TV Themen Rotwein-Poker und Traubenklau mit einem Foto von Natalie Lumpp, Weinsommelier

 

Ein Kommentar

  1. Hallo, Herr Pleitgen,

    im inzwischen seit fünf Jahren am Markt etablierten Magazin Sehnsucht Deutschland, das immerhin vier Mal im Jahr erscheint und aktuell per IVW über 110 T verkaufte Exemplare ausweisen wird, hat Wein seit geraumer Zeit einen festen Platz.

    Mario Scheuermann stellt dort – frei von PR und monetären Interessen – seinen persönlichen deutschen Weinkanon auf.

    Und das in einem Magazin, das sich dem Reisen, Leben und Entdecken in Deutschland widmet.

    Da sind wir sehr froh, mit Herrn Scheuermann einen anerkannten Weinfachmann/-journalisten regelmäßig zu veröffentlichen, weil das unserem Verständnis eines redaktionell hochwertigen Magazins entspricht.

    Und langfristig zahlt sich das glücklicherweise auch aus,

    beste Grüße, David Pohle, Chefredakteur Sehnsucht Deutschland