Wer braucht Weinführer?

| 7.970 mal gelesen |

Das Wein-Buch-Geschäft ist in den letzten Jahren arg im Niedergang begriffen. Auf der Buchmesse muss man sich schon sehr gut auskennen, um überhaupt noch neue Titel zu entdecken. Renommierte Weinbuch-Verlage haben ihre Programme drastisch zusammengestrichen und ihre Mitarbeiter-Zahl genauso drastisch verringert.

Allerdings gibt es auch noch feste Felsen in der Brandung. Und jeder Verlag ist froh, wenn er einen solchen Felsen sein eigen nennen darf. Sie heißen Vini d’italia, Der Kleine Johnson, Hachette oder Gault Millau. Während die meisten Weinbücher ganz vorsichtig mit Startauflagen von 3.000 – 6.000 Exemplaren (kalkuliert für 2 Jahre) an den Markt gehen, dürfen es bei den Führern schon ein paar 10.000 sein.

Ein Phänomen! Wein-Bücher braucht niemand mehr, Wein-Zeitschriften sind im freien Fall und Wein-Führer behaupten sich relativ.

Laut wikipedia ist ein Führer ein Nachschlagewerk (neudeutsch guide), daß oft auch Bewertungen enthält. Und das ist genau der Punkt, warum Wein-Führer nach wie vor einen Markt haben.

Mit Wein-Führern wird Markt gemacht und deshalb ist das Interesse so groß. Erstmal auf Seiten der Winzer: ist mein Betrieb, sind meine Weine gut bewertet, verkaufen sie sich besser. Hier ein Beispiel wie Bewertungen in der Kommunikation eingesetzt werden. Es ist bewußt kein Beispiel aus Deutschland gewählt.

Während beim „Who is Who“ sicher Eitelkeit die größere Rolle spielt, geht es bei den Weinführern ums Geld.  Und da hört bekanntlich der Spaß auf. Deshalb die Aufregung um den Gault Millau. Die Bewertungen sollen „gerecht“, „unabhängig“ und „nicht käuflich“ sein. Vielleicht die meist verwendeten Worte in der Debatte.

Warum sich auch Winzer an der aktuellen Diskussion beteiligen, die Top-Bewertungen bekommen, wird gefragt. Antwort:  Natürlich muß meine schönste Trumpfkarte ohne Fehl und Tadel sein!

Im Verlagstext zum GR wird übrigens Wert gelegt gelegt, daß „eine Verkostungsjury mit mehr als 100 Mitgliedern dabei absolut unabhängig die besten Weine Italiens auswählt„.

Für die Verleger sind die Führer/Nachschlagewerke eine sichere Bank: zuerst kaufen einmal diejenigen, die darin besprochen sind. Deshalb sind die Führer mit den Jahren immer dicker geworden. Die geborenen Käufer machen auch noch massiv Werbung für das Produkt, da sie es in ihrer eigenen Kommunikation einsetzen. Perpetuum mobile. Zusätzlich kann man noch Werbung verkaufen (die macht die Führer auch wieder dicker) und im Umfeld der Führer läßt sich eine schöne Internetpräsenz aufbauen, die auch noch einmal Einnahmen bringt. Und das Schönste: jedes Jahr wächst eine neue Ernte heran, wird eine neue Ausgabe fällig. Ist der Markt nicht mehr so freundlich gestimmt, wird’s auch eine zweijährige Ausgabe tun.

Und die lieben Leser? Brauchen die Gambero Rosso 2007 und Gambero Rosso 2008 und Gambero Rosso 2009?  Brauchen Weinfreunde heute noch einen Führer durch das Dickicht der Weinwelt, weil sie sonst die Oreintierung verlieren? Oder brauchen sie eher eine Versicherung, daß das was sie teuer bezahlen, auch sein Geld wert ist?

Auf jeden Fall scheinen sie die Führer als Meßlatte für ihr eigenes Urteil zu brauchen. Eine „Livia“ aus Köln schreibt auf Amazon zum GR 2008  „Auch der neue Band ist wieder Spitze. Meine Lieblingsweingüter in Norditalien sind – soweit ich das vergleichen kann – gerecht beurteilt.Gerade im Internet erfahren die Weinführer eine Nutzung, wie sie Jancis Robinson kürzlich als eine mögliche zukünftige Rolle der Weinkritik beschrieben hat: „eines Tages werden wir vielleicht nur noch dasein, damit andere sich an uns reiben können„.

4 Kommentare

  1. Hallo,
    ich denke Weinführer werden weiter gebraucht. Ob es eine gedruckte Variante sein muss, ist eine andere Frage. Die Komplexität des Themas Wein hat nicht ab sondern zugenommen, Immer mehr Herkünfte, junge Winzer drängen mit guten und weniger guten Produkten auf unseren deutschen Markt. Die Bereitschaft der Verbraucher auszuprobieren ist ebenfalls gewachsen.“Mein Winzer“ fürs ganze Leben ist out.

    Zukunft haben für mich internetbasierte Weinführer, welche eine grosse Anzahl von Weinen hochaktuell bewerten. Die Vorteile liegen auf der Hand, den im Internet Datenbanken können viel mehr Weine bewertet werden und nicht immer die gleichen 25 Betriebe. Per mobilem Internet habe ich heute die Daten immer dabei, im Supermarkt, beim Weinhändler oder Winzer.

    Die Frage, welche sich natürlich stellt ist, wie kann ich mit diesen Führern Geld verdienen. Reicht Werbung, oder müssen Bezahlinhalte angeboten werden.
    Der GM auf der Autorückbank gehört für mich der Vergangenheit an.

    Gruss

    Hans-Peter Decker

  2. Pingback: Gault Millau: Armin Diel tritt zurück

  3. Weinführer – ja, unbedingt.
    Weingüter als „Geldgeber“ – auf keinen Fall.
    Karl-Heinz Weecks
    Berlin

  4. Pingback: Der zweite Versuch – Weinführer mit Bezahlmodell