Das sterbende Eichhörnchen ist Facebook und Google manchmal wichtiger als ein verhungerndes Kind in Afrika

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Ein sterbendes Eichhörnchen im Vorgarten.....   foto:Dominics's pics flickr

Ein sterbendes Eichhörnchen im Vorgarten..... foto:Dominics's pics flickr

„Ein sterbendes Eichhörnchen im Vorgarten kann in manchen Momenten wichtiger sein, als ein sterbendes Kind in Afrika“  – mit diesem Satz bin ich nicht einverstanden.

Nichts gegen Tierliebhaber, Naturschützer oder andere Aktivisten. Auch mir tun die vertrockneten Kröten auf meinem Weg durch den Wald zu S-Bahn leid. Wenn ich aber diesen Satz von einem der einflußreichsten Menschenflüsterer auf der Welt höre, dann läuft es mir kalt den Rücken herunter. Wenn das dessen Sicht auf die Welt ist, übertrifft er noch bei weitem den altbekannten deutschen Medienzaren der Nachkriegszeit, der die Stoßrichtung seines Boulevard-Blattes mit den Worten charakterisierte: für Wiedervereinigung, gegen Hundeschlachten!  Damals war wenigstens klar, worum es ging!

Facebook ist kein Telefon

„Die meisten Benutzer sehen  in Facebook so etwas wie ein Telefon – einen neutralen Übermittlungskanal“ schreibt Eli Pariser in seinem Buch. Und beweist dann gleich, daß Facebook viel mehr ist, als eine simple Plattform, auf der man sich mit Friends und Family austauscht. Pariser war derjenige, der als erster darauf hinwies, daß die Personalisierung auf Facebook und Google dazu führt, daß man am Ende nur noch die Inhalte angezeigt bekommt, mit denen man sowieso übereinstimmt. In seinem Buch führt er zahlreiche Beispiele an, wie dies zu einer Einengung des Gesichtfeldes und zur Verstärkung positiver, aber auch negativer Ansichten und Verhaltensweisen führen kann.

Bei uns konnte man letzthin sehr gut an Stuttgart 21 und der Affäre Baron von und zu beobachten: beide Seiten fühlten sich online bestärkt und sahen auf Facebook immer nur die Gemeinde anwachsen, der sie selbst angehörten.

Pariser war nicht immer auf der Seite der Internet-Kritiker: er ist selbst Chef einer Internet-Firma und gehört in den USA eher zu „Linken“ , die im Internet und vor allem in Social Media einen Faktor der Demokratisierung von Information- und Meinungs-Hoheit sahen.

Pariser zitiert Google Ex-Chef  Schmidt: Google wolle die Fragestellungen der User besser und genauer kennen als sie selbst – Ziel sei es, nicht viele Antworten zu geben, sondern eine: die richtige! Zu Ende gedacht ist das genau so fatal, wie den Eichhörnchen-Klickern die sterbenden Kinder in Afrika vorzuenthalten. Der Satz vom Eichhörnchen stammt von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg.

Eingeschlossen in der eigenen Blase

Am Ende navigiert jeder User eingeschlossen in seiner eigenen Blase durchs Netz und bekommt nur noch angezeigt, was ihm gefällt. Neues kennenlernen kann man dann nur noch, soweit es der eigenen Perspektive entspricht, abweichende Meinungen sind ausgeblendet. Aus dem Jammertal wird ein Paradiesgarten. Ich höre die ersten sagen: was ist daran schlimm?

Die alten Medien wie Print, Funk und Fernsehen fühlten sich immer noch einer vollständigeren Darstellung der Zeitläufte verpflichtet und sähen sich auch als Aufdecker von Fehltentwicklung, Unterschleif und Korruption. Pariser empfiehlt folgerichtig, wieder mehr Zeitung zu lesen (ob das hilft?). Wenn alles nichts hilft, fordert er eine staatliche Reglemetierung der Filterpraxis der Online-Medien und eine Offenlegung der Geschäfte von Facebook, Google oder Microsoft. Die Zerschlagung des Microsoft-Konzerns und die harten Auflagen in den USA sowie die drastischen Bußgelder der EU gegen die Softwarekonzern sind für ihn ein Beispiel, wie staatliche Eingriffe funktionieren können. In einem sehenswerten Interview auf TecCrunch TV bezeichnete er Google und Facebook kürzlich als die verschwiegensten Konzerne der Welt, für die keinerlei staatliche Auflagen zu gelten scheinen.

Ist Google+ die Antwort?

Nach wenigen Tagen Google+ meinen manche Onliner, hier trenne sich die Spreu vom Weizen. Hie Frankfurter Allgemeine Niveau dort Gala-Publikum – ich denke, dass hat etwas mit der Beta-Phase und mit der von Elie Pariser attestierten Bubble zu tun. Google unterscheidet sich von facebook laut Pariser im Wesentlichen darin, daß Google die Beziehungen zwischen Fakten und Geschehnissen der Alltagswelt zum Ausgangspunkt nimmt, während für Facebook die Beziehungen zwischen Personen der Aufhänger sind.

Weder Google noch Facebook sind Ableger der Gemeinnützigkeit verpflichteter Orden. Es geht weder um individuelle Emanzipation, noch um gesellschaftlichen Fortschritt. Was einzig zählt, ist Einfluß und damit Geschäft. Wer bis vor einiger Zeit noch meinte, auf Facebook unentgeltlich Marketing betreiben zu können, ist mit der Personalisierung schnell an seine Grenzen gestoßen. Facebook-Marketing ?–  „Si senior – aber bitte gegen Bezahlung!“  Es wird kein Vierteljahr dauern, bis wir bei G+ genau dort ankommen. Vielleicht sogar noch früher.

Zum Nach- und Selberdenken empfohlen

Ich habe Pariser’s Buch auf einem Nachtflug von New York  nach Berlin gelesen. Der Mann neben mir war ein Philosophie-Professor aus Philadelphia, der Goethes „Ästhetische und philosophische Schriften“ im Orginal las – die Vereinzelung in unserer Gesellschaft schien ihm ein Problem. Sie ist ein großes gesellschaftliches Problem –   für den Einzelnen ist sie aber dank der Online-Medien immer weniger manifest – er empfindet sie, leidet daran, ist sich ihrer aber gar nicht bewußt. Weil alle, die ihm begegnen:  Ja,  Ja ,  Ja  sagen —–  das eigenlich ist das größte Problem.

Elie Pariser, The filter Bubble – what the Internet is hiding from you
Penguin Press New York, 2011
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