Es geht auch ohne Trolle, Shitstorms und Cybermobbing

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„Als ich erfuhr, dass Kathrin Passig und Sascha Lobo ein Buch übers Internet schreiben, ging ich zunächst reflexhaft davon aus, dass das Ergebnis die ultimative Apologie des Lebens im Web würde“ schrieb die Kaltmamsell Inés Gutiérrez auf ihrem Blog „Vorspeisenplatte“. 41bZAK1wHrL._SL210_

Mir ging es genauso, als ich „Internet – Segen oder Fluch“ vor mir liegen hatte. Bei der Lektüre war ich dann doch erstaunt, wie kritisch die beiden mit manchen „Segnungen“ aus dem Netz umgehen.

Nicht abschrecken lassen

Nach den ersten Seiten war ich von dem Buch allerdings etwas enttäuscht – war aber später beruhigt, nicht der einzige zu sein:  Gerrit Bartels vom kulturradio rbb meinte in einem Beitrag  „das erste Drittel dieses Buches ..[liest sich wie].. eine Mischung aus Binsenweisheiten, Larifarimetadiskursen über das Alte und das Neue, Witzchen, Begriffserklärungen und … Listen von guten oder nicht so guten Argumenten…“.

Man sollte sich nicht abschrecken lassen: interessant wird es ab dem Kapitel über die Digitale Demokratie.

Was ist dran an der Digitalen Demokratie?

„Erfolgreiche Informationstechnologien nötigen der Demokratie ihre Spielregeln auf“ heißt es da – Twitter wird als Beispiel angeführt. Bei aller Veränderung, die für manche die Politik hier vermeintlich bereits erfahren hat, merken die Autoren an, 140 Zeichen könnten sicher nicht mit einer Speigel-Headline konkurrieren.

„Auch der meistgelesene  Tweet erreicht noch immer nur einen Bruchteil des Tagesschau-Publikums. Das Netz wirkt wie ein Verstärker.“ Am eigentlichen Politik-Geschäft hat sich nichts geändert- möchte man ergänzen. Bestes Besispiel sind die Piraten mit ihrem Liquid Democracy Programm, die es geschafft haben, sich innerhalb kürzester Zeit wieder zu mariginalisieren. Im Buch wird ihren Ideen noch viel Platz eingeräumt. So schnell ändern sich die Zeiten – schon bei Erscheinen des Buches war das Thema Liquid Democracy weitgehend erledigt.

Lösungen für Internetfragen sind nicht immer einfach – heißt es auf Seite 200. Manchmal gibt es auch keine. Lobo und Passig rufen an vielen Stellen zu differenzierter Betrachtung auf. So beim Thema Netzneutralität, das oft auf die Begriffe Freiheit versus Kontrolle verengt wird – wobei Kontrolle und Regulierung für viele mehr Sicherheit im Netz bedeutet.

Dagegen meinen die Autoren, Freiheit und Sicherheit müssten als Ergebnis „dauernder gesellschaftlicher Verhandlung“ begriffen werden. Man müsse aufhören, Sicherheit und Freiheit gegeneinander auszuspielen, sondern sie „geschmeidig miteinander zu vereinbaren“. Wie auch immer das gehen soll – das lassen sie selbst offen.

Der Filter sitzt im Kopf

Auch müsse man sich Meinungen stellen, die man selbst nicht teilt. Dem Wunsch, wegzuklicken nicht nachgeben – heißt ein praktischer Ratschlag. Nicht erst seit Eli Parisers „Filterbubble“ wird auf die Gefahr eines Tunnelblicks auf die Wirklichkeit hingewiesen – Google und Facebook zeigen die Ergebnisse, beziehungsweise die Freunde, die einen selbst bestätigen.

Die Systeme werden auch von Lobo/Passig als problematisch angesehen: „…die fehlende Transparenz macht es den Anbietern zu leicht, ihre eigene Agenda in die Ergebnisse einfliessen zu lassen“. Aber sie weisen auch darauf hin, dass der eigentliche Filter immer noch im eigenen Kopf sitzt und auch bei der gefälligen Selbstbespiegelung in den sozialen Medien sind nicht immer die Technik oder die Programme schuld.

„Technisch gesehen ist es durch das Netz einfacher geworden, sich mit anderen Positionen auseinanderzusetzen. Das macht es schwieriger zu rechtfertigen, warum wir es nicht tun“.

Guter Überblick über die aktuelle Diskussion – für Insider

Das Buch bietet nach einem eher schwachen Auftakt einen guten Überblick über den Diskussionsstand zum Themenkreis „Internet“ im Jahr 2012. Populistische, alarmistische und simplifizierende Standpunkte sind aussen vor gelassen – auch Frank Schirrmacher wird nur am Rande erwähnt. Dafür finden sich weitere Themen, die uns sicher noch eine Weile beschäftigen werden, wie Urheberrecht oder Privatsphäre.

Schön, dass die Autoren am Schluss noch aufführen, welche Themen sie nicht behandelt haben. Weise, dass auf Kapitel über Mobiles Internet, Trolle, Shitstorms und Cybermobbing verzichtet wurde.

Gutes feature: beim Kauf der Hardcover-Ausgabe gibt es die e-book Version im passenden Format für den eigenen Reader dazu.

Internet – Segen oder Fluch von Kathrin Passig, Sascha Lobo
Rowohlt Berlin 2012, 19,90 Euro

 

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