Foto Wein- und Foodpresse
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Weinmagazine – kommt jetzt das letzte Aufgebot?

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Die Luft scheint komplett raus zu sein. Für Deutschlands Weinmagazine interessiert sich niemand mehr. Abonnenten-Zahlen und Kiosk-Verkäufe sind weiter in freiem Fall. Zum Jahreswechsel beginnt einmal mehr ein großes Stühle-Rücken in den Verlagen.

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Der Sinkflug hält weiter an foto:mpleitgen

Das große Stühle-Rücken

Nachdem in den letzten Monaten bereits bei Falstaff und bei Vinum Veränderungen in den Redaktionen abgekündigt wurden, teilt auch der Meininger Verlag jetzt mit, dass es einen Relaunch für die beiden Titel Weinwelt und Sommelier Magazin geben soll. Helmut Ortner, der den Verlag bereits beim Start der Weinwelt vor zwölf Jahren beriet, soll die beiden Magazine „unter die Lupe nehmen und neu positionieren“.

Knapp dreitausend Hefte am Kiosk

Es wird auch höchste Zeit: die Abonnentenzahlen sinken kontinuierlich. Laut IVW von 6.467 im 4.Quartal 2010 auf aktuell 6.110. Am Kiosk werden gerade einmal 2.942 Exemplare verkauft – vor zwei Jahren waren es noch 4.289. Das ist ein Minus von über 30%. Auch bei den sonstigen Verkäufen – das sind Exemplare, die zu Sonderpreisen an Firmen und Institutionen abgegeben werden – in der Branche ist es oft üblich mit Gegengeschäften in Form von Anzeigen zu arbeiten – werden jetzt nur noch 10.804 statt vorher deutlich über 12.000 Hefte verteilt.

Besucher-Zahlen zum Online Auftritt der Weinwelt werden nicht veröffentlicht. Sollte es sich dort ähnlich verhalten, wie bei den Social Media Aktivitäten, kann bei Meininger in Neustadt niemand mit dem Titel zufrieden sein. Seit dem letzten Jahr wurde die Zahl der Fans auf Facebook gerade mal von 1.671 auf 2.107 gesteigert (Nov 11 / Nov 12).

Neustart bei VINUM

Bei Vinum soll es jetzt Stephan Reinhardt richten. Nach seiner Ernennung zum Chef der Deutschland-Ausgabe gab es jede Menge Glückwünsche und ermutigende Zurufe von allen Seiten. Die kann Reinhardt sehr gut gebrauchen, denn bei Vinum sieht es ähnlich aus, wie bei der Weinwelt.

Nach einem kurzen Abrutschen der Abo-Zahlen auf 9.524 Ende 2011, liegen die aktuellen Zahlen jetzt wieder bei 10.711 und damit wieder auf dem gleichen Niveau wie vor zwei Jahren. Indes sind die Kiosk-Verkäufe kontinuierlich zurückgegangen. Von 2.188 Exemplaren in 2010 über 1.687 im letzten Quartal 2011 sind aktuell 1.667 geblieben. Bei Facebook zählt Vinum jetzt 3.728 Fans statt 2.526 im Vorjahr. (11/12 zu 11/11).

Falstaff hält sich bedeckt

Zu den Falstaff-Auflagen gibt es keine veröffentlichten Zahlen. Wie immer wieder zu hören ist, stellt sich aber auch für die Österreicher der deutsche Zeitschriftenmarkt weitaus schwieriger dar, als ursprünglich angenommen. Auch hier gab es ein Revirement: neben Peter Moser, der weiterhin den Bereich Wein verantwortet, wurde vor wenigen Wochen Michael Tempel installiert, der für das gesamte Ressort Gourmet zeichnen soll. Tempel war seit dem letzten Jahr für die Deutschland-Ausgabe des Blattes verantwortlich und hatte sich als Entwickler des GaultMillau-Magazins einen Namen gemacht.

Immerhin: Falstaff ist bei Facebook mit 11.225 Fans der Spitzenreiter bei den drei Titeln. Vor einem Jahr waren es noch knapp über 8.000.

Es geht auch anders

Ist das Thema Wein out oder ist der Niedergang hausgemacht? Das Essen und Trinken in Zeiten des homing – des Rückzuges ins Private – immer noch Konjunktur hat, ist wohl Tatsache. Von einer Kochshow-Müdigkeit wird nicht mehr gesprochen und die letzten Termine der Eat&Style Messe waren ein voller Erfolg. Auch die zahlreichen großen und kleinen Weinveranstaltungen landauf, landab scheinen gut besucht.

Die gute alte Tante Essen&Trinken konnte ihre Kioskverkäufe nach mehrmaligem Relaunch seit 2010 um fünfzig Prozent steigern!  Dass das kein Strohfeuer ist, belegen die anhaltend guten Quartalszahlen seit dem vergangenen Jahr. Fulminant auch die Online-Zahlen: E&T verdoppelte seit 2010 die Besucherzahlen seiner website auf über 3 Millionen pro Monat. (Quelle IVW).

Radikale Änderungen

Für die neuen Leute in den Redaktionen heißt es: an die Arbeit! Mittlerweile sollte jedem klar sein, der Sinkflug wird nur durch radikale Änderungen zu stoppen sein. Am Beispiel E&T sieht man, dass die Verzahnung von Print und Online Früchte tragen kann. Alles andere wird früher oder später das Aus bedeuten.

PS: Erschreckend waren für mich bei der Recherche die absoluten Zahlen. Auch wenn es die Titel noch gibt – kann man überhaupt noch von einer exsistenten Weinpresse in Deutschland sprechen? Muss sich die Weinbranche in Deutschland nicht ganz schnell neue Foren suchen um nicht ganz in der Öffentlichkeit unterzugehen?

11 Kommentare

  1. Eigentlich ist es ganz einfach: diese Blätter produzieren am Markt vorbei. Sie sind ziemlich einseitig auf beinen Connaisseurmarkt fixiert und der ist zu klein um (über)lebensfähige Auflagen zu generieren.

  2. Pingback: Weinjournalismus « Würtz-Wein

  3. Ein sehr guter Beitrag. Wichtig auch, dass Sie die mangelnde Kompetenz der Titel im Bereich Social Media betonen. Sieht man sich die Präsenzen von WEINWELT und Vinum an, kann man über die scheinbare Planlosigkeit sich nur wundern. Die Bedeutung dieser Kanäle wird von den Verantwortlichen offensichtlich weiterhin verkannt.

  4. Tja, da treffen wir jetzt seit 10 Jahren dieselben Diagnosen, stellen uns dieselben Fragen und geben …. immer noch keine Antworten? Ich hab langsam auf diese Disskussion gar keine Lust mehr, da wird nur noch Konzeptionslosigkeit von einer Ecke in die andere geschoben. Symptomatisch für mich die Aussage des Verlegers einer Weinzeitschrit (vor vier oder fünf Jahren) nach einem langem, gründlichen und ausführlichen Gespräch: „Eigentlich schade, dass wir diese Diskussion nicht vor drei Jahren geführt haben.“ Und dieselbe Zeitschrift (inzwischen in einem anderen Verlag) WAGT jetzt einen personellen Neuanfang, nachdem noch einmal vier oder fünf Jahre verloren wurden. Ich denke, wenn wir schon keine Konzepte haben oder keine zur Kenntnis nehmen wollten, sollten wir einfach die Klappe halten.
    Auch das so genannte Erfolgsbeispiel e&t is kein echtes. Jedenfalls nicht, wenn man die IVW-Zahlen genau liest (auch auf einer Zeitschiene). Dass die Marke physisch und online präsenter werden müsse, empfand ich schon eine Binse, als ich es bei meinen Einstellungsgesprächen 2004 forderte. Und wie lange hat es gebraucht, bis da wenigsten ein kleiner Prozentsatz von realisiert wurde?
    Unsere Verlage schlafen den Schlaf der Gerechten, und wenn sie mal aufwachen, versuchen sie sich im Kampf gegen die Windmühlenflügel der Online-Industrie. Das ist die Realität. Gute Nacht!

  5. Ich glaube, dass Weinmagazine in den Zeiten vor Social Media durchaus eine Berechtigung hatten. „Besser ich erfahre etwas über wenige ausgewählte Weine, als gar nichts“. Bei hunderttausenden von Weinen, die Jahr für Jahr entstehen, kann ein Weinmagazin natürlich nur einen winzigen Ausschnitt abdecken. Genau wie ein Weinhändler. Der kann seinen Kunden auch nur das anbieten, was er kennt und auf Lager hat. Den sog. „Long Tail“ also die vielen Weine, über die nicht geschrieben wird und die mein Weinhändler nicht hat, können nur Datenbanken und Nutzergenerierte Kommentare abdecken. Snooth (http://www.snooth.com) hat uns sehr schön vorgemacht, wie ein Long-Tail Weinmagazin aussehen sollte. Amazon bietet auch sehr schöne Funktionen und mittlerweile ein paar zigtausend Weine an, hat aber noch keine kritische Masse um wirklich gute Rezensionen zu generieren. Wenn das sich aber eines Tages ändert, dann brauche ich überhaupt kein Weinmagazin mehr, sondern nur noch meine Amazon-Empfehlungen.

  6. Man muss auch einmal sehen, dass die Leute, die Weingeschichten lesen wollen, halt doch viel viel weniger sind, als alle glauben. Wenn man einmal all jene weg rechnet, die diese Blätter aus beruflichen Gründen lesen – also Winzer, Gastronomen/Sommeliers und Händler, dann bleiben gaaaanz wenige über. Von denen kann man nicht leben, ausser man macht so kopierte Blattln wie Parker und Weinwisser mit teurem Abo. Das geht wieder nur mit sehr bekanntem Gesicht als Leitfigur.
    Daher versuchen alle Printmedien zu sparen – meist am falschen Platz, nämlich bei der Qualität der Artikel und Fotos – und mit PR und bezahlten Geschichten die Blätter zu füllen. Das wiederum wollen aber die paar zahlenden Leser eben nicht lesen. Denn die wissen sehr genau, dass sie eine begehrte Zielgruppe sind. Meist gut situiert, gebildet, kulturbeflissen etc. Und viel zu beschäftigt bzw. wenn frei zu faul, um sich aus den tausenden Blogs was raus zu suchen.
    Also greift er zu den Print-Magazinen. Aber statt, wie einst üblich, langer, gut recherchierter und gut geschriebener Artikel mit spannenden Fotostrecken findet er max. Doppelseiten, zu kurz, um zu informieren, Fotos viel zu klein und der Rest ist bezahlter Text, was er, der ja selbst im Management oder so sitzt, sofort checkt und das Blatt gelangweilt zur Seite legt.
    Dann überlegt er ob er ein Abo hat und verlängert es nicht mehr. Und im schlimmsten Fall ist er potentieller Anzeigenkunde – und schaltet eben nicht mehr.

  7. Pingback: Blogs aus Berlin bei ebuzzing.de – Ranking für Dezember 2012 | world wide Brandenburg

  8. Christian, was die Crowd-Intelligenz des Internets angeht, bin ich zwar skeptisch, muss aber anerkennen, dass da eine sehr große Dynamik drinsteckt. Aber bei Printmedien im Weinbereich, wenn es sie denn überhaupt noch geben soll / kann, darf die Frage genau NICHT MEHR heißen: „Brauche ich ein solches Magazin“, sondern sie kann nur heißen: „Will ich ein solches Magazin“. Hic rhodus, hic salta!

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