Welche offenen Türen rennt das Deutsche Institut für Nachhaltige Entwicklung (DINE) eigentlich noch ein – fragt man sich beim Erstkontakt.
Bio hat aus Handelssicht die Erwartungen nicht erfüllt -zu ideologisch besetzt um in der Breite wirklich erfolgreich sein zu können. Beispiele aus jüngster Zeit: Lidl fährt seine Bio-Sortimente zurück, Netto ist vom ehemaligen Plus-Engagement weit entfernt und bei REWE/Penny blieb es für Bio auch in der Boom-Zeit bei einem Schattendasein. „Bio-Euphorie im Discount verblasst“ titelt die Lebensmittelzeitung (LZ) kürzlich. Die GFK bescheinigt mit 5,8 Mrd. Euro ein Verharren des Bio-Segments auf Vorjahresniveau. Folgt man LIDL Einkaufs-Vorstand Robin Goudsblom, ist Bio neben dem preisorientierten konventionellen Angebot zusammen mit Fairtrade ein ganz normaler Sortimentsbestandteil für zahlungskräftige Kunden geworden.
Jetzt setze der Handel eine neue Agenda, meint die LZ – Nachhaltigkeit heißt das Thema.
Ich frage Anna von der Emde, Geschäftsführung Wein bem DINE Heilbronn, inwieweit das Heilbronner Institut mit dem Handel zusammenarbeitet. Noch sei es schwierig, dem Handel deutlich zu machen, was eine Zertifizierung für Nachhaltiges Wirtschaften beinhalte, meint sie. Es gebe viele verschiedenen Ansätze – viele Hersteller und Händler definierten eigene Programme. „Nachhaltiges Wirtschaften bedeutet ökologische Verträglichkeit, soziale Gerechtigkeit und ökonomische Stabilität zugleich“, diese drei Kriterien müßten erfüllt sein, wolle man von nachhaltigem Wirtschaften sprechen.
Nachhaltigkeit umfaßt also mehr als Bio-Produktion und Einhaltung von Tarifen, sie hat einen starken gesellschaftspolitischen Hintergrund: wie wollen wir mit unseren endlichen Ressourcen umgehen, wie können wir aktiv unsere Emissionen reduzieren, was tun wir mit gentechnisch veränderten Organismen? Kurz: wie wollen wir morgen leben?
Interessanterweise bestehe bei den Überschriften und Zielen ein breiter Konsens auch bei den Weinproduzenten. Dies habe sich in ersten Gesprächen und Workshops mit Winzern und Weingütern gezeigt, sagt von der Emde. Untersuchungen hätten auch gezeigt, daß es auch auf Verbraucherseite eine hohe Akzeptanz für Nachhaltiges Wirtschaften gebe. Deshalb habe man sich entschlossen, gemeinsam mit den Herstellern wissenschaftlich fundierte, praxisnahe Kriterien zu entwickeln und Betriebe zu zertifizieren. So ist auch das neue FairChoice Logo entstanden. Es soll Betrieben die Möglichkeit geben, ihre Zukunftsorientierung und ihr gelebtes Verantwortungsbewusstsein nach außen darzustellen.
Wie immer entzünden sich die Diskussionen, wenn es um Aufwand und Kosten geht. Was ist notwendig, um die Zertifizierung zu bekommen? Viele Betriebe seien schon heute näher dran, als man meine. Hier komme es darauf an, eine saubere Dokumentation zu erstellen. Andere hätten noch einen weiteren Weg zurückzulegen und betriebliche Abläufe zu verändern. Der Verein berät und unterstützt Betriebe im Vorfeld einer Zertifizierung – hier entstehen Kosten, die von Betrieb zu Betrieb unterschiedlich sind. Die Zertifizierung selbst liegt bei weniger als 2 cts pro Liter.
Das Projekt ist soweit fortgeschritten, daß ab 2011 selbstvermarktende Betriebe zertifiziert werden können. Die Kriterien-Kataloge für Genossenschaften, Kellereien und Fasswein-Produzenten sind in Arbeit. Der ganzheitliche Ansatz sieht vor, die gesamte Kette vom Produzenten bis zum Verbraucher zu zertifizieren – deshalb soll in Zukunft auch der Handel mit einbezogen werden.
In Deutschland gehe man mit Projekten oft erst an die Öffentlichkeit, wenn alles bereits 100% geprüft und „wasserdicht“ sei, sagt von der Emde. Dies widerspreche aber dem Prozeßcharakter des FairChoice-Projektes. Technische Innovationen, neue wissenschaftliche Erkenntnisse und gesetzlichen Rahmenbedingungen bis hin zur sozialen Lebensweise veränderten sich dynamisch – heißt es im Leitbild des Vereins. Deshalb gehe es um einen offenen und transparenten Dialog, in den alle beteiligten und interessierte Kreisen einschließlich der Endverbraucher einbezogen werden sollen. „Wir machen uns auf den Weg – und laden jeden ein, dabei mitzugehen“.
FairChoice – FairMade – FairTrade, kann es da nicht zu Verwechselungen kommen? „Vielen Menschen ist klar, daß wir zukünftig fairer miteinander und mit unserer Umwelt umgehen müssen. In diesem Sinn haben wir nichts dagegen in die „faire“ Ecke gestellt zu werden“ meint von der Emde zum Schluß.
Informationen zu FairChoice und dem Deutschen Institut für Nachhaltige Entwicklung (DINE) gibts auf der Webseite unter der Überschrift „Blick Richtung Zukunft“
14. Dezember 2010 um 21:30
Ich glaube nicht, dass Bio und Öko Vergangenheit sind. Beispiele von Lidl. Aldi und Co mögen vielleich (noch) einen großen Teil der Konsumgesellschaft beglücken und mit ihren billigen und absolut nicht nachhaltig hergestellten Produkten überschwemmen, sind aber deswegen noch lange kein Beweis, dass der Gedanke „Bio“ passé ist. Selbstverständlich ist, dass der Gedanke des fairen Handels, in Verbindung mit Bio, die Zukunft sein sollte.
15. Dezember 2010 um 08:53
Lieber Chritoph Röper,
Bio ist keineswegs am Ende – die Zukunft beginnt gerade erst in Verbindung mit sozialen und ökonomischen Gesichtspunkten. Lebensmittel die biologisch produziert werden, müsssen zum Beispiel noch lange nicht ökologisch transportiert worden sein. Bio-Obst und Gemüse aus Israel ist so ein Fall – das kommt per Luftfracht zu uns. Auch die Preise in Bio-Märkten kommen zum Teil durch die Unfähigkeit der Branche in Sachen Distribution und Management zustande. Da gibt es noch viel zu tun.
Die Discounter haben übrigens (ein)gesehen, daß die Bio-Märkte bei den Bio-Verwendern eine wesentlich höhere Glaubwürdigkeit haben. Die hat man in der Breite nicht erreicht und somit konnte die ursprünglich ins Auge gefaßte Marge nicht realisiert werden. Das ist einer der Gründe für den Ausstieg.
15. Dezember 2010 um 16:00
Ich bin hin und hergerissen, wenn ich den Artikel lese. Nachhaltigkeit ist ein so inflationär genutzter und oftmals schwammiger Begriff, das es fast jedem möglich ist, seine Produkte unter diesem Stichwort einzuordnen. Gleichzeitig ist das Thema nachhaltiges wirtschaften doch das Kernanliegen der ökologischen Landwirtschaft.
Bringt uns ein Nachhaltigkeitssiegel wirklich weiter? Wir haben gut eingeführte Biosiegel, denen hohes Vertrauen entgegengebracht wird. Aber auch in diesem Bereich gibt es eigentlich schon zu viele Siegel.
Und wenn ich dann auf der Homepage des DINE lese, dass die Grundlage für dieses neue Siegel ein „kontrolliert umweltschonender Weinbau“ ist der z.T. durch die Richtlinien der Bioaanbauverbände untersetzt wird, dann platzt mir sowohl als Bioweinhändler als auch als Agrarwissenschaftler fast der Kragen.
Was ist den konrolliert umweltschonender Weinbau? Das ist doch genau der Ansatz, den die Chemische Industrie jahrelang gefördert hat, um dem Verbraucher zu zeigen, dass die konventionelle Landwirtschaft und der Pestizideinsatz doch genau so umweltgerecht ist, wie der Bioanbau.
Was ist das Ergebnis. Ein schwammiges Siegel, dass dem Verbraucher ein X für ein U vormachen will? „Teilweise Bio“ oder „kontrolliert umweltgerecht“ aber eigentlich ganz konventionell nach dem Motto „ein bisschen Bio sind wir doch alle“ … Also ein Rückschritt bezogen auf die klaren Bio-Kriterien, aber immer schön unter dem Siegel der Nachhaltigkeit.
Was sind denn die Hauptprobleme bei der Weinerzeugung:
– Ökologische Nachhaltigkeit: Probleme liegen m.E. hauptsächlich in den Bereichen Energieeinsatz für Düngemittel (Stickstoff), Bodenschutz (Erosion) und Pflanzenschutzmittel. Das ist optimal über die Biorichtlinien geregelt.
Die Frage des Energieeinsatzes für Logistik- und Transport sind verglichen mit dem Energieeinsatz für die Düngung zunächst mal gering, wenn sie auch nicht unter den Tisch fallen sollten. Aber einem Verbraucher der nun unbedingt das ganze Jahr über Erdbeeren oder Weitrauben haben möchte erreicht man durch dieses Siegel nicht. Da wäre vielleicht der generelle Carbon-Foot-Print für alle Produkte eine bessere Lösung.
– Soziale Nachhaltigkeit: Probleme für den Weinbau in Deutschland liegen wahrscheinlich am ehesten in der Entlohnung der Hilfskräfte. Sollte man das nicht auch generell über einen allgemeinen Mindestlohn lösen. Auch dafür brauchen wir kein Siegel.
– Ökonomische Nachhaltigkeit: In den Kriterien die auf der DINE Seite hierzu genannt wurden, kann ich beim besten Willen nichts innovatives erkennen. Das ist pure Betriebswirtschaft und die beherrscht ein Anbieter / Winzer / Händler eben oder er beherrscht sie nicht. Dies unter einem Nachhaltigkeitssiegel zum Entscheidungskriterium für den Konsumenten zu machen, halte ich nicht für zielführend.
Also bitte nicht noch ein Siegel mit großem Anspruch aber geringer Substanz. Das bringt uns nicht weiter. Weder ökonomisch noch ökologisch.
15. Dezember 2010 um 20:06
Lieber Olaf Nitzsche, das sind genau die Punkte, die es zu diskutieren gilt – Bio wird es immer geben und es wird in gewisser Weise auch für andere Vorbild sein.
Am Tuniberg in Süd-Baden gab es in den 90ern wegen des Gewässerschutzes Probleme – der Ausweg wäre die Umstellung auf Bio gewesen. Nun ist es aber nicht möglich 8 Gemeinden mit 800 Winzern quasi zwangsweise umzustellen. So ist am Vorbild Bio orientiert das baden-württembergische Konzept „Umweltschonender Weinbau“ entstanden.
Die Siegelvielfalt trägt auch nicht gerade zur Orientierung bei – das stimmt. Wie schwierig es ist alle unter einen Hut zu bringen sieht man aber auch wieder in der Bio-Szene: da beharrt trotz EU-Bio und Deutsch-Bio jeder auf seinem Zeichen.
16. Dezember 2010 um 23:12
Lieber Herr Pleitgen,
es ist richtig, dass es regional gelungene Beispiele für eine Bewirtschaftungsänderung gibt, die z.B. den Aspekt Gewässerschutz stärker berücksichtigt. Und das nicht alle Landwirte zur Umstellung auf biologische Bewirtschaftung gezwungen werden können ist selbstverständlich und es wäre dazu auch verheerend für den Bio-Anbau. Das muss schon freiwillig und aus Überzeugung des Bewirtschafters geschehen.
Dennoch, ein Siegel, dass mit Nachhaltigkeit und Ökologie wirbt, erweckt eine hohe Erwartungshaltung bei den Verbrauchern. Und wenn dann die Kriterien für dieses Siegel dagegengestellt werden werden, und es offensichtlich einen Rückschritt z.B. bei den ökologischen Kriterien im Vergleich zum Bioanbau geben wird, ist die Gefahr sehr groß, dass die Verbrauchererwartungen enttäuscht werden oder noch schlimmer der Verbraucher getäuscht wird.
Wir schaffen es derzeit ohnehin nur etwa für 5 % der Lebensmittelumsätze der Bevölkerung klar zu machen, dass die biologische Bewirtschaftung einen Wert darstellt, der es lohnt, für die Produkte auch etwas tiefer in die Tasche zu greifen.
Dennoch ist das Vertrauen in die biologische Bewirtschaftung und die wichtigsten / bekanntesten Bio-Siegel oder Verbandszeichen bei einem viel größeren Teil der Bevölkerung sehr hoch.
Wie mühsam und langwierig war es aber, den Verbrauchern die Vorteile der biologischen Erzeugung zu erklären und hohes Vertrauen in die wichtigsten Siegel und Verbandszeichen zu schaffen, bis hin zur Etablierung von europäischen Rechtsgrundlagen und staatlich gelenkten Kontrollsystemen. Und dann soll ein Nachhaltigkeitssiegel, das ein paar weniger relevante Kriterien hinzunimmt, bei den wesentlichen Punkten aber die Bio-Standards verwässert, Vorteile bringen??? Wem denn?
Das Ergebnis ist im schlechtesten Fall eine steigende Verunsicherung einiger Verbraucher und im besten Fall ein weiteres (Pseudo-Bio?) Siegel, das aufgrund mangelder Klarheit nicht wahrgenommen wird und wieder in der Versenkung verschwindet.
5. Januar 2011 um 23:34
Diese Diskussion fing ja eigentlich schon mal sehr interessant an, schade, dass sie nun eingeschlafen scheint.
Dirk Würtz hat das Thema auch gerade erst in seinem Blog aufgegriffen.
@Christoph: Du weißt, dass ich Dir Recht gebe. Die Discounter konnten zwar fast eine Vorreiterrolle bei Bio-Wein einnehmen, doch ist das natürlich auch ein leichtes bei knapp 2/3 Absatz im gesamtdeutschen Verbrauch.
@Olaf Nitzsche: Ein weiteres Siegel brauchen wir sicher nicht. Dem Verbraucher hilft es nicht – es verunsichert eher nur. Danke für das Statement, wir sind uns da einig !
@Michael Pleitgen: Einen Punkt der Nachhaltigkeit haben Sie ja bereits angesprochen. Es macht keinen (Siegel-)Sinn, Produkte über tausende Kilometer zu transportieren und dennoch irgendwelche Papperl aufzukleben, nur weil die Ursprungsverarbeitung Bio o.ä. ist/war.
Auf der anderen Seite wissen wir doch, dass es große GCC Weingüter im Bordeaux gibt, ebenso wie VdP Winzer, die zwar biologisch vinifizieren, sich aber davor scheuen, dies ob ihrer Klientel auch auf die Bouteille zu bringen.
Noch immer haftet dem Etikett „Bio/Öko“ etc. das Attribut „lange Haare und selbstgestrickte Socken“ an, ganz abgesehen von schlimmeren Assoziationen.
Vor allen Siegeln, vor allem Marketing sollte doch m.E. zuerst einmal die Aufklärung des Verbrauchers stehen. Was bedeutet Schwefel im Wein,
wie ist es mit Histaminen, was heißt „spritzen“ usw.
Nur so kann den industriellen Produkten begegnet werden, nur so kann auch verdeutlicht werden, was bio/öko wirklich bedeutet.
Wenn wir erst den Beipackzettel zum Wein bekommen, dann zieht es den Verbraucher wieder mehr zur Hopfenkaltschale, weil er dabei weiß, daß es ein Reinheitsgebot in Deutschland gibt. Das hat sich manifestiert.
Laßt die Siegel mal alle weg – laßt uns aufklären und zwar ohne wenn und aber – auch über Bio.
Nur dann schützen wir den Verbraucher, wahren die wirklich großartige Vielfalt des Weins und sichern so die Zukunft der vielen engagierten Winzer, die für sich allein keine Stimme haben.
6. Januar 2011 um 14:36
Die Nachhaltigkeit / Öko / Bio Diskussion wird uns noch lange begleiten. Hier eine Anmerkung dazu, warum der Weinfachhandel mit den Bio-Weinen nicht so recht glücklich werden konnte.